Barfußlaufen, Intervallfasten, frische Säfte aus Wildpflanzen oder eine ausgeglichene Work-Life-Balance: Hättest du gedacht, dass diese beispielhaften Empfehlungen für einen ganzheitlich gesunden Lebensstil bereits im vorletzten Jahrhundert angesagt waren?
In diesem Beitrag erfährst du, warum das Werk von Sebastian Kneipp – seit 2015 von der UNESCO als immaterielles Kulturgut ausgezeichnet – gerade auch in unserer heutigen Zeit immer noch von Bedeutung ist.
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Denn das „Kneippen“ ist noch viel mehr als das altbewährte Wassertreten: Kneipps Vision als Naturheilkundler war es, die Menschen zu einem einfachen und naturverbundenen Lebensstil zu inspirieren, um damit eigenverantwortlich ihre Gesundheit zu erhalten bzw. wiederzuerlangen.
Am Beispiel der bekanntesten Anwendung der Kneipp’schen Wasserkur, dem Wassertreten, zeigen wir dir, wie du das Kneippen selbständig durchführen und von den positiven Effekten auf deine Gesundheit profitieren kannst.
Sebastian Kneipp: Selbstheilung von der Tuberkulose mit der Wasserkur
Der 1821 in Stephansried im Allgäu geborene „Wasserdoktor“ war kein Mediziner, sondern Theologe. Sein Wissen stammte zunächst aus dem Buch „Unterricht von Krafft und Würkung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen“ von Johann Siegemund Hahn, mit dem er seine Tuberkulose, eine damals unheilbare Infektionskrankheit der Lunge, selbst behandelte:
Dank kurzer Tauchbäder in der winterlich kalten Donau, kalten Güssen und Halbbädern gelang es ihm, seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren und damit die Tuberkulose zum Stillstand zu bringen.
Die Wiederentdeckung der Pflanzenheilkunde
Aus seiner eigenen Heilung und seiner christlichen Nächstenliebe als katholischer Priester ergab sich der Wunsch, auch andere Menschen zu heilen.
Der „Kräuterpfarrer“ entdeckte die schon zu seiner Zeit in Vergessenheit geratene Kräuterheilkunde wieder neu. Er erkannte, dass sich durch die Kombination von Wasseranwendungen mit Heilpflanzen bessere Erfolge erreichen ließen als durch eine einzelne Methode.
Das Kneipp´sche System der fünf Säulen: Wasser, Heilpflanzen, Bewegung, Ernährung und Lebensordnung
Zur gleichen Zeit, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, führten die beginnende Industrialisierung und die damit einhergehende Landflucht und die zunehmende Entfremdung von der Natur zu einer Änderung des Lebensstils.
Kneipp erkannte, dass sich z. B. die Arbeit in den geschlossenen Räumen der Fabriken, die einseitige Bewegung und Ernährung und die Schadstoffbelastung der Luft, aber auch der vermehrte Fleischkonsum der wohlhabenden Gesellschaftsschichten negativ auf den Gesundheitszustand auswirkten.
Daher erweiterte Kneipp die Wasser- und Kräutertherapie um die Bereiche Bewegung, Ernährung und weiterer Lifestyle-Faktoren, die er unter dem Begriff „Lebensordnung“ zusammenfasste.
Durch die Kombination verschiedener Anwendungen aus diesen fünf Bereichen ließen sich seinem Verständnis nach synergistische Effekte erzielen und damit die Selbstheilungskräfte anregen.
Er wandte die Kneipp-Methode vor allem vorbeugend zur Erhaltung der Gesundheit, aber auch zur (Mit-)Behandlung von Krankheiten an und wurde damit zu einem Pionier der ganzheitlich ausgerichteten Naturheilkunde.
Das bekannte und heute noch aktuelle Zitat
„Vorbeugen ist besser als heilen“
stammt von Sebastian Kneipp.
Seine ärztlichen Mitarbeiter und Nachfolger entwickelten seine Anleitungen in seinem Sinne weiter zum Kneipp´schen Naturheilverfahren mit seinen fünf Säulen:
- Hydrotherapie: Wasseranwendungen in Form von z. B. Waschungen, Güssen, Bädern (siehe im nächsten Abschnitt)
- Phytotherapie: Kräutertees, Pflanzensäfte und ätherische Öle sogenannter “mild wirksamer” Heilkräutern ohne unerwünschte Nebenwirkungen
- Bewegungstherapie: mäßige, aber regelmäßige Bewegung möglichst im Freien durch Gehen, Laufen, Radfahren, Schwimmen, Tanzen, Gymnastik oder Stretching
- Ernährungstherapie: einfache und naturbelassene Ernährung mit hohem Anteil an Pflanzenfasern in Obst, Gemüse und Getreide; wenig Fleisch, Wurst und Fett
- Ordnungstherapie: bewusster und ausbalancierter Lebensrhythmus
Kneipp wie auch seine Nachfolger verstanden die Kneipp-Methode nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu der sich ebenfalls weiterentwickelnden Hochschulmedizin. So war Kneipp ebenfalls ein Vorreiter der sogenannten integrativen Medizin.
Die Hydrotherapie als eine von 5 Säulen der Kneipp-Therapie
Die Wassertherapie erfolgt in Form von Waschungen, Güssen, Bädern, Wickeln, Dämpfen und – last but not least – dem bekannten Wassertreten.
Dabei ist die Wassertemperatur kalt (10-15 °C), warm (36-38 °C) oder heiß (um 40 °C) oder es kommen wechselwarme oder temperaturansteigende Anwendungen zum Einsatz.
Die Kaltanwendungen gelten jedoch als besonders wirkungsvoll.
Kälteanwendungen fördern die Durchblutung
Anders als beim Eisbaden wird die Körpertemperatur bei der Kneipp’schen Wasserkur nicht herabgesetzt. Die sanften Kältereize stimulieren lediglich die Thermorezeptoren in der Haut.
Reflektorisch kommt es zu einer Verengung der Blutgefäße in der Haut (Vasokonstriktion), um den Körper vor Wärmeverlust zu schützen. Die zunächst verminderte Durchblutung ist an der Blässe der Haut zu erkennen.
Bei der anschließenden Wiedererwärmung kommt es zu der sog. reaktiven Hyperämie, einer Minuten bis Stunden lang anhaltenden gesteigerten Durchblutung der nun rosigen Haut. Die Verbesserung der Durchblutung und das angenehme Gefühl gleichzeitiger Erfrischung und Wärme tritt bereits bei einmaliger Anwendung auf.
Kälteanwendungen fördern die Stressresistenz
Infolge des Kältereizes werden bestimmte Stresshormone vor allem aus der Nebenniere (u. a. Adrenalin und Noradrenalin) freigesetzt. Während diese Stressreaktion beim ersten Mal noch sehr ausgeprägt ist, gewöhnt (adaptiert) sich der Körper bei regelmäßiger Anwendung an den Stressor Kälte und schüttet im Laufe der Zeit immer weniger Stresshormone aus.
Da es sich auch bei anderen körperlichen oder psychischen Stressoren um dieselben Stresshormone handelt, kann der Körper bei regelmäßigen Kältereizen im Sinne einer Kreuzadaptation auch allgemein besser mit Stress umgehen.
Da gerade in unserer heutigen Zeit viele Krankheiten stressbedingt sind, lässt sich nach Ansicht der Kneipp-Medizin mit Kältereizen vielen chronischen Krankheiten vorbeugen.
Kälteanwendungen stimulieren das Immunsystem
In mehreren Studien ließ sich nachweisen, dass die Kältereize auch das Immunsystem anregen und sich die Häufigkeit von Erkältungskrankheiten durch regelmäßige Kneipp-Anwendungen um die Hälfte reduzieren ließ.
Kälteanwendungen wirken auch auf die Psyche
Nicht zuletzt hat die Kaltwassertherapie eine ausgleichende und stimmungsaufhellende Wirkung auf die Psyche.
Das Wassertreten - die bekannteste Anwendung der Hydrotherapie
Die bekannteste Anwendung aus dem Bereich der Hydrotherapie ist das Wassertreten.
Wo kann man Wassertreten?
Spezielle „Kneipp-Anlagen“ mit einer „Wassertretstelle“ findest du, indem du diese Stichwörter in die Suchfunktion einer Karte oder in die App „Kneipp-Anlagen“ des Kneipp-Bund e. V. eingibst.
Wassertreten lässt sich aber auch ganz einfach in der freien Natur an einem See, Fluss oder Bach ohne Strömung und mit flachem Ufer.
Fülle einfach einen ausreichend hohen Eimer bis eine Handbreit unterhalb der Kniekehle mit 10-15 °C kaltem Wasser. Darin kannst du langsam auf der Stelle waten und erzielst den gleichen Effekt.
So wird das Wassertreten richtig durchgeführt
Mit dieser Anleitung nach dem bekannten Kneipp-Arzt Prof. Bernhard Uehleke kannst du dir sicher sein, beim Wassertreten alles richtig zu machen:
- Zu Beginn sollten deine Füße durch Gehen oder Fußgymnastik aufgewärmt sein: z. B. kannst du im Zehenspitzenstand auf und ab wippen, auf den Zehenspitzen oder den Fersen laufen, die Füße kreisen lassen oder die Zehen krallen und wieder lockerlassen.
- Nun geht es ins Wasser: Wate langsam durch das Wasser (bzw. im Eimer auf der Stelle), indem du nach jedem Schritt den gestreckten Fuß aus dem Wasser herausziehst. Dieser sog. „Storchengang“ aktiviert die Muskelpumpe der Wadenmuskulatur und damit den venösen Rückfluss und den Lymphfluss zum Herzen.
- Sobald ein Schmerz wahrnehmbar ist, steigst du aus dem Wasser wieder aus. Am Anfang kann das bereits nach 10-20 Sekunden sein. Bei regelmäßigem Wassertreten setzt das Schmerzgefühl erst nach 30-60 Sekunden ein.
- Zum Abschluss streifst du das Wasser mit den Händen von Beinen und Füßen ab und wärmst sie durch Bewegung wieder auf.
- Diesen Ablauf kannst du bis zu 3x wiederholen.
- Zieh dir warme Socken an und genieße das wohlige Wärmegefühl!
Wer kann gesundheitlich vom Wassertreten profitieren?
Kneipp empfahl das Wassertreten – wie auch die anderen Kälteanwendungen der Wassertherapie – zur allgemeinen Stärkung von Körper und Psyche und damit zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und stressbedingten chronischen Erkrankungen.
Aus der Kombination des gefäßverengenden Kältereizes mit der Aktivierung der Muskelpumpe beim Storchengang erklärt sich die gezielte Anwendung des Wassertretens zur Behandlung von Krampfadern, leichten Durchblutungsstörungen der Beine (z. B. ständig kalten Füßen) sowie zur Normalisierung des Blutdrucks – sowohl Bluthochdruck als auch Kreislaufprobleme infolge eines zu niedrigen Blutdrucks lassen sich nach dem Kneipp’schen Naturheilverfahren durch regelmäßiges Wassertreten ausgleichen.
Alle Bereiche der fünf Säulen kombinieren
Am Beispiel der Krampfadern zeigt sich aber, dass das Wassertreten im Sinne der Kneipp-Medizin mit weiteren Behandlungsmethoden kombiniert wird:
Nach Empfehlungen von Prof. Uehleke stehen neben dem Wassertreten auch Knie- oder Schenkelgüsse, Beinwickel mit Lehm oder Heilerde, Arnika-Salbe (äußerlich) und Rosskastanien-Extrakt (innerlich) sowie manuelle Lymphdrainage und ggf. Kompressionsbehandlung auf dem Therapieplan.
Aus dem Bereich Bewegung tragen eine entstauende Hochlagerung der Beine sowie Schwimmen, Spazierengehen oder Laufen und Fußgymnastik zur Beschwerdelinderung bei.
Hinsichtlich der Ernährung empfiehlt Prof. Uehleke vor allem, auf Alkohol und Nikotin zu verzichten und eventuelles Übergewicht zu reduzieren.
Weitere Empfehlungen aus dem Bereich Lebensordnung sind, flache Schuhe zu tragen und Verstopfung sowie lange Stehen oder Sitzen, insbesondere mit übereinandergeschlagenen Beinen zu vermeiden.
Wer sollte beim Wassertreten vorsichtig sein?
Bei ausgeprägter Arteriosklerose, fortgeschrittenen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie bei Erkrankungen der Nieren einschließlich ableitender Harnwege oder der Geschlechtsorgane sollte das Wassertreten nur nach Rücksprache mit der Therapeutin oder dem Therapeuten durchgeführt werden.
Alternativen zum Wassertreten: Tautreten oder Schneetreten
Tautreten und Schneetreten haben dieselbe Wirkung wie das Wassertreten und lassen sich unter Umständen noch leichter umsetzen.
Du hast einen Garten oder eine Wiese vor der Tür? Dann beginne den Tag mit Tautreten und trete frühmorgens 3-5 Minuten lang durch das noch taunasse Gras.
Es liegt Schnee? Wunderbar! Zieh dir die Schuhe aus und laufe barfuß durch den Schnee – bereits wenige Sekunden reichen aus. Wie beim Wassertreten ist es wichtig, die Füße davor und danach durch Bewegung aufzuwärmen.
Extra-Wissen:
Die Wirksamkeit und Verträglichkeit der von Kneipp empfohlenen Heilpflanzen in ihren jeweiligen Anwendungsgebieten wurde in den 1990er Jahren durch die Kommission E, einer durch das Bundesgesundheitsamt beauftragten Expertengruppe aus Ärzten, Apothekern und Chemikern und die moderne Phytotherapie, bestätigt.
Probiere das Wassertreten beim nächsten Spaziergang am See doch einfach mal aus!
Quellenverzeichnis
Cover: LianeM via Canva.com
Bild: snowflock via Canva.com
Uehleke, Bernhard: Das große Kneipp-Gesundheitsbuch. (6. Auflage) Trias Verlag 2022